12.09.2007

Verrechtlichung der politischen Repression - ein deutscher Alleingang


Das Spezifische [...] besteht darin, daß der [...]deutsche Staat, [...] von Rechts wegen die Kompetenz beansprucht, bestimmte politische Richtungen generell politisch zu eliminieren, sie ein für allemal von der Bühne des Politi­schen zu verbannen. Die politische Repression hat hier die situativen, okkasionellen Momente zurückgedrängt, durch die sie in der Vergan­genheit charakterisiert war; sie hat sich von den konkreten Umständen und Risiken konkreter veränderlicher Situationen abgelöst und ist, an­ders als in den überkommenen Notständen, Ausnahmezuständen und polizeilichen Gefahrensituationen, von bestimmten Gefahren und deren politischer Bewertung weithin unabhängig. Die »freiheitliche demokratische Grundordnung« legitimiert ihre Repressionen nicht an den Besonderheiten bestimmter Situationen und Zustände, sondern auf einer allgemeinen ideologischen Ebene.“

(Friedhelm Hase, »Bonn« und »Weimar« Bemerkungen zu der Entwicklung vom »okkasionellen« zum »ideologischen« Staatsschutz, in: Ordnungsmacht? Über das Verhältnis von Legalität, Konsens und Herrschaft hrsg. von Dieter Deiseroth / Friedhelm Hase / Karl-Heinz Ladeur, EVA: Frankfurt am Main, 1981, 69 – 84, hier: 70; fette Hv. d. Admin.)

„[…] kein Schwur der unter dem Banner des ‚Menschenbildes des Grundgesetzes’ das ökonomische System Verteidigenden ist wahrer als der ‚antifaschistische’. Das Abschwören an das erwiesenermaßen mit zu hohen Kosten verbundene – und daher auch in seinen drei letzten südeuropäischen Refugien liquidierte – ungesicherte Kooperieren mit den Machthabern eines sich verselbständigenden politischen Systems teilen sie mit den Bundesbrüdern im übrigen Europa. Das Einschwören auf die Verrechtlichungsstrategie ist ihr deutscher Alleingang, […]. Die Methode der Beorderung einer sich dabei selbst immer neu überschlagenden und unterlaufenden Justiz zum Löschen demokratischer Brandherde kann nicht in Länder exportiert werden, die die deutsche Hochzeit von Recht und Politik nicht vollzogen haben und deshalb keine Justiztradition verwalten, für die ein politisch unerwünschter und daher in der politischen Beurteilung als ‚Mißbrauch’ erscheinender Gebrauch von Rechten auch rechtlich zum ‚Mißbrauch’ wird. Diese Länder bedürfen auch der Segnung mit den Folgen nicht. Um dies abschließend noch einmal anhand des Beispiels der sogenannten Berufsverbote klarzumachen: 300 Fälle von ‚Berufsverbot’ in einem westeuropäischen Land, wo keine Bücher verbrannt worden sind, sind 300 Fälle von entweder rechtswidrigen oder gesetzlich gedeckten Maßnahmen, wobei die Rechtswidrigkeit erkannt und öffentlich kritisiert bzw. das nicht zementierte Gesetz rechtspolitisch angegriffen werden kann. 300 Fälle von ‚Berufsverbot’ in der Bundesrepublik sind Vollstreckung des höchsten Gebots der Verfassung einer ‚wehrhaften Demokratie’ in einem Land, wo ‚der Rechtsstaat verteidigt’ wird, wenn die politische Option einer Gesellschaftsfraktion sich unter Umgehung der Volksvertretung durch rechtswidrige Verrechtlichung in allgemein verbindliche öffentliche Gewalt umsetzt. Das läßt sich nur nachvollziehen in einem Land, wo zuvor mit jeder politischen Maßnahme ‚das Recht geschützt’ wurde und die dies tragende Ausdünnung des politischen Bewußtseins noch nicht überwunden ist. Das führt zu einer Selbstzensur – und betrifft daher über die 300 ‚Betroffenen’ hinaus alle –, an deren Einrichtung die Länder ohne eine moderne Geschichte der Bücherverbrennung nicht interessiert sind.“

(Helmut Ridder, Vom Wendekreis der Grundrechte, in: Leviathan 1977, 467 – 521, hier: 520 f.; fette Hv. d. Admin.)

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